Philosophia – Falsafa: Philosophische Texte im Wandel

Philosophia – Falsafa: Philosophische Texte im Wandel

Organisatoren
Elvira Wakelnig; Graduate School Asia and Africa in World Reference Systems, Martin-Luther-University Halle-Wittenberg
Ort
Halle
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2006 -
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Von
Oliver Overwien, Corpus Medicorum Graecorum, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die Rezeption der griechischen Literatur respektive der griechischen Wissenschaften in der orientalischen Tradition und ihre eigenständige Weiterentwicklung in den Reichen außerhalb der römischen bzw. byzantinischen Machtsphäre ist als Forschungsgebiet auf der einen Seite sehr voraussetzungsreich, da ganz unterschiedliche Kompetenzen und Fähigkeiten verlangt werden und interdisziplinäres Arbeiten geradezu erforderlich ist. Auf der anderen Seite bieten sich dem Interessierten viele Ansatzpunkte für die Beschäftigung mit einem Phänomen, das gerade der Moderne veranschaulichen kann, dass die Grenzen zwischen Orient und Okzident in Spätantike und Mittelalter zumindest in kulturell-wissenschaftlicher Hinsicht durchaus fließend waren.

Wie vielfältig die Beschäftigung mit dieser Rezeption ausfallen kann, bewies jetzt wieder ein Workshop, den E. Wakelnig im Rahmen des Graduiertenzentrums Asien und Afrika in globalen Bezugssystemen im Max-Planck Institut für ethnologische Forschung am 22.11.06 in Halle initiierte. In seinem Mittelpunkt stand „die Rezeption der griechischen Philosophie in der arabisch-islamischen Welt ab dem 9. Jh. und die eigenständige Weiterentwicklung der Philosophie durch Muslime“. Während also mit der Philosophie ein thematischer Schwerpunkt gesetzt wurde, zeigten die sechs Vorträge ganz unterschiedliche Schattierungen dieses Wissenschaftstransfers.

Einfach formuliert lassen sich für diese Rezeption mehrere Phasen unterscheiden. Neben der Aneignung griechischer Philosophie im Zuge der Bildung eines neuen arabischen Reiches vom 8. Jh. n. Chr. an und der eigenständigen Weiterentwicklung des übernommenen Erbes vom 11. Jh. an, sind bereits im 5.-6. Jh. n. Chr. im Vorderen Orient zahlreiche Übersetzungen in die syrische Sprache greifbar. Mit dieser ersten Phase beschäftigte sich U. Pietruschka (Halle), die sie allerdings nicht isoliert für sich betrachtete, sondern mit den Überlieferungsbedingungen bei den Kopten verglich. Dieser Vergleich bot sich nicht nur aus chronologischen Gründen an, er verdeutlichte auch, wie unterschiedlich christliche Milieus mit säkularem Wissen umgingen. Während man ihm in Nordafrika aus unterschiedlichen Gründen eher ablehnend gegenüberstand, gehörten im Vorderen Orient griechische Philosophie und Medizin zum öffentlichen wie privaten Unterricht der Oberschicht.

Der zweiten Phase, also der Rezeption in der arabisch-islamischen Welt, widmeten sich drei weitere Vorträge. Wenngleich die konkreten Überlieferungswege noch nicht genau bestimmt werden konnten, lässt sich immerhin konstatieren, dass einen Hauptkanal die spätantiken Philosophenschulen darstellten. Dies gilt auch für die Popularphilosophie wie O. Overwien (Berlin) darlegen konnte. Denn während das Bild des Kynikers Diogenes in der griechischen Tradition eine mannigfache Ausarbeitung und weite Verbreitung erfuhr, ist es in der orientalischen Tradition neben den Sprüchen und Anekdoten in der Hauptsache durch die Informationen bestimmt, die ihren Ursprung im philosophischen Einführungsunterricht spätantiker Bildungsinstitutionen hatten. Ungleich größeres Gewicht als Diogenes hatte Aristoteles in den Philosophenschulen der Spätantike, dessen Bedeutung sich, anders als es bei Platon der Fall war, darüberhinaus auch in die orientalische Tradition übertrug. So wurden z.B. nahezu alle seine Schriften ins Arabische übersetzt. Dazu gehörte auch der Schriftenkomplex „Parva Naturalia“, den R. Hansberger (Oxford) präsentierte. Anhand ausgewählter Beispiele konnte sie deutlich machen, dass die arabische Fassung keine durchgehend wortgetreue Übersetzung, sondern die eigenständige Weiterentwicklung aristotelischer Gedanken durch mehrere Bearbeiter darstellt, die zum Teil weit über den griechischen Originaltext hinausreicht. Ein weiterer Aspekt, der die Bedeutung des Aristoteles bereits in der Spätantike unterstreicht, war die Zuschreibung fremder Schriften an ihn. Als bekanntes Beispiel sei hier die sogenannte „Theologie des Aristoteles“ genannt, eine Zusammenstellung aus den „Enneaden“ Plotins, die uns allerdings nur in arabischer Übersetzung fassbar ist. Gleiches gilt für das aristotelische „Buch der Bewegung“, das Vortragsthema von E. Wakelnig (Halle). Auch hierbei handelt es sich in Wahrheit um ein Konglomerat aus Proklos’ „Elemente der Theologie“ und „Elemente der Physik“ (im 1. Teil), das (im 2. Teil) mit Zitaten aus aristotelischen Schriften verbunden ist und von dem uns auf griechischer Seite ebenfalls jede Spur fehlt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die erhaltene Fassung eine Zusammenstellung bereits vorhandener arabischer Textfragmente darstellt. Aufbau und Struktur bedarf noch näherer Untersuchung, doch wie schon bei den „Parva Naturalia“ zeigt sich auch hier der selbstständige Umgang arabisch-islamischer Gelehrter mit den überlieferten Quellen der griechischen Philosophie.

Nachdem die wesentlichen Texte der Griechen übersetzt und kommentiert waren, setzte im 11. Jh. vor allem mit Avicenna allmählich eine Loslösung von den griechischen Wurzeln ein. Mit dieser Phase beschäftigten sich schließlich zwei weitere Beiträge des Workshops. So wandte sich H. Eichner (Halle) noch einmal der nach wie vor vertretenen These zu, dass durch die Angriffe al-Ghazali's die philosophische Tätigkeit im Bereich des sunnitischen Islam zum Erliegen gekommen sei. Sie zeigte jedoch, daß das Phänomen eines anscheinenden Verschwindens philosophischen Denkens im Bereich des Sunnitischen Islams teilweise darauf zurückzuführen ist, dass Avicennische Philosophie weitgehend in das Lehrgebäude der Theologen integriert wird, ein Vorgang, der schon in den Generationen vor al-Ghazālī zu beobachten ist. Daher werde sie oft nicht mehr als "philosophisch" wahrgenommen.
Den weitesten Bogen spann schließlich R. Arnzen (Köln). Er unterschied zwischen philologischen, historiographischen und philosophischen Methoden der Erforschung der arabischen Philosophie und erörterte die Frage, inwieweit verschiedene moderne philosophiegeschichtliche Ansätze dazu taugen, die Geschichte der arabischen Philosophie zu berücksichtigen bzw. in ihre jeweiligen Perspektiven zu integrieren. Arnzen hob die Bedeutung interdisziplinärer Arbeit für eine nicht bloß philologisch oder ideengeschichtlich ausgerichtete Erforschung der arabischen Philosophie hervor.

Letztlich bot der Workshop natürlich nur einen Ausschnitt, einen Ausschnitt, der freilich Hoffnungen weckt. Denn nach der Vortragsreihe „Griechische Philosophie und arabische Rezeption“ am 21.9.2004 im Rahmen des Deutschen Orientalistentages in Halle und dem Symposium Graeco-Arabicum zum „Arabic Aristotle“ am 03.-05.2.05 in Bochum ist dies bereits die dritte Veranstaltung zum Thema in Deutschland innerhalb von knapp drei Jahren gewesen. Als nicht weniger erfreulich ist auch der Zuspruch zu bewerten, den der Workshop in Halle erfuhr. Denn die Teilnehmerzahl war nicht nur unerwartet hoch, die Anwesenden, bei denen sich wissenschaftliches Personal und Studentenschaft bemerkenswerterweise die Waage hielten, gehörten auch den unterschiedlichsten Fachrichtungen an. Ganz offensichtlich kommt dem Thema allmählich die Bedeutung zu, die es verdient. Mission erfüllt, weitermachen!


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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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